Grundzüge der geschichtlichen Entwicklung der Göttlichen Liturgie

 

Das Sakrament der heiligen Eucharistie (slawisch: таинство святой евхаристии) oder auch das heilige Abendmahl genannt wurde von Christus Selbst bei Seinem letzten heiligen Abendmahl am Großen und Heiligen Donnerstag (Gründonnerstag) eingesetzt, als Er Brot und Wein in Seinen kostbaren Leib und Sein Allheiliges Blut verwandelte. Er ließ Seine Jünger daran teilhaben und sie dadurch in die heilige Kommunion, die geistliche sakramentale Gemeinschaft mit Ihm Selbst zu treten. Auch forderte der Herr Selbst Seine heiligen Jünger und Apostel auf, dieses große und heilige Mysterion zu Seinem Gedächtnis für alle Zukunft bis zu Seiner Wiederkunft in Herrlichkeit zu feiern.

 

Deshalb versammelten sich die heiligen Apostel und Jünger auch nach Seinem Kreuzestod und Seiner Auferstehung am ersten Tag der Woche, dem Sonntag, an dem Christus glorreich von den Toten auferstand, um im »Brotbrechen« den Auftrag des Herrn zu erfüllen und Seine Heiltaten zu feiern und zu verkünden.

 

Schon zu den Lebzeiten der heiligen Apostel wurde der Kern der Göttlichen Liturgie, die Anaphora (griechisch: Η Αγία Αναφορά), in ihren Grundzügen festgelegt. Sie gehört zur Heiligen Apostolischen Tradition und wird seitdem in der orthodoxen Kirche treu und unverändert bewahrt.

 

Ursprünglich war die Anaphora, die Feier der heiligen Eucharistie ein Mahl, das durch Lesungen aus der Heiligen Schrift und Singen von Psalmen, durch Predigt der heiligen Apostel oder der von ihnen in den Ortsgemeinden eingesetzten Bischöfe und Gebete begleitet wurde. Manchmal dauerte diese Feier die ganze Nacht. Parallel zur Ausbreitung der christlichen Kirche wandelte sich die Feier der heiligen Eucharistie dann aus einer abendlichen und ganznächtlichen Mahlfeier zu den Frühformen unseres heutigen orthodoxen Gottesdienstes.

 

Bereits zur Zeit des heiligen Apostels Jakobus des Herrenbruders, der der erste Bischof in Jerusalem war, entstand die erste liturgische Ordnung für die Feier der Göttlichen Liturgie, die Jakobusliturgie. Sie wurde von den heiligen Aposteln in Jerusalem und im übrigen Heiligen Land, jedoch bereits auch in Antiochia, wo sich die erste große Christengemeinde außerhalb Palästinas bildete, gefeiert. Dort hat sie auch der heilige Johannes Chrysostomos gefeiert und später zum Vorbild seiner liturgischen Ordnung in Konstantinopel gemacht. Diese apostolische liturgische Ordnung wurde vom heiligen Apostel Petrus von Antiochien aus nach Rom gebracht, wo aus ihr unter dem heiligen Clemens und dem heiligen Gregor Dialogos (von dem auch die liturgische Ordnung der Liturgie der vorgeweihten Gaben stammt) die altrömische liturgische Ordnung entstand. Der Schüler des heiligen Apostels Petrus, der heilige Evangelist Markus, brachte die apostolische liturgische Ordnung nach Alexandrien in Ägypten, wo daraus die alexandrinische Ordnung der Markusliturgie entstand. Der heilige Apostel Paulus trug nach dem Zeugnis seiner Briefe (vgl. 1. Korinther 11: 23) die apostolische Ordnung der Anaphora, die er bei seinen Besuchen  bei den übrigen Aposteln in Jerusalem kennengelernt hatte, zu den Gemeinden, die er später in ganz Kleinasien und Griechenland gründete. Aus ihnen entstanden dann die liturgisch Ordnung in Kappadokien, die uns der heilige Basilius der Große in seiner Basilius-Liturgie überliefert hat. Die kappadokische liturgische Ordnung gelangte auch mit der Annahme des Christentums nach Armenien, woraus im Laufe der kommenden Jahrhunderte die heutige armenische Liturgie entstand.

 

Von Alexandrien aus gelangte die apostolische liturgische Tradition, wie sie der heiligen Evangelisten Markus dort eingeführt hatte, zusammen mit dem christlichen Glauben nach Äthiopien, woraus sich im Laufe der kommenden Zeit die Liturgie der äthiopischen und eretreaischen  Kirche entwickelte. Mit dem heiligen Aposteln Judas Thaddäus und Bartholomäus und ihren Gefährten gelangte die apostolische liturgische Ordnung aus Antiochien kommend nach Mesopotamien im heutigen Irak und von dort aus mit der Mission des heiligen Apostels Thomas zu den indischen Christen an der Keralaküste.

 

Der Grundaufbau der Anaphora, der apostolische Kern der liturgischen Ordnung, ist in all diesen altkirchlichen liturgischen Ordnungen gleich.

 

In der Zeit zwischen dem 3. und dem 9. Jahrhundert wurde diesem apostolischen liturgischen Kern der Eucharistiefeier in den einzelnen Kirchen jedoch weitere Elemente hinzugefügt, die jedoch die apostolische Grundstruktur nicht veränderten, sondern nur zur Förderung der Frömmigkeit der Gläubigen sinnvoll ergänzten. In der Zeit zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert entschlossen sich jedoch die orthodoxen Christen in den übrigen altkirchlichen Patriarchaten die Ordnung der Kirche von Konstantinopel zu übernehmen, so dass heute alle orthodoxen Kirchen dieser liturgischen Ordnung, die sich vor allem aus dem Gottesdienst an der Hagia Sophia in Konstantinopel entwickelte, folgen.

 

In der heutigen liturgischen Praxis der orthodoxen Kirchen kann die heilige Eucharistie, »Göttliche Liturgie« genannt, mit Ausnahme der Wochentage während der großen Fastenzeit täglich gefeiert werden. Hierfür werden in der modernen Praxis zwei eucharistische Gottesdienstordnungen verwendet: Die Liturgie unseres Vaters unter den Heiligen Basilius des Großen und die Liturgie unseres Vaters unter den Heiligen Johannes Chrysostomos.

 

Bei der »Liturgie« der Vorgeweihten Gaben unseres Vaters unter den Heiligen Gregor Dialogos, des Erzbischofs und Papstes von Alt-Rom handelt es sich nicht um eine Eucharistiefeier, sondern um eine, mit der Ordnung einer Kathedralvesper verbundene, Kommunionfeier. Die  Liturgie der Vorgeweihten Gaben besitzt deshalb werden Darbringung (Anaphora) noch Wandlung (Epiklese). Die vorgeheiligten Gaben entstammen bereits der Liturgiefeier des vorangegangen Sonntag und werden in diesem abendlichen Gottesdienst nur den Kommunikanten gespendet. Die Feier der Liturgie der vorgeweihten Gaben ist auf die Wochentage (in der Regel Mittwoch und Freitag) in der Zeit der Großen Fasten begrenzt, wenn wegen des Bußcharakters keine Göttliche Liturgie gefeiert werden kann. Sie soll in dieser Zeit den Gläubigen den Empfang der heiligen Kommunion ermöglichen, damit sie in ihren geistlich-asketischen Bemühungen gestärkt und unterstützt werden.

 

Die beiden Liturgieformulare des heiligen Basilius des Großen und des heiligen Johannes Chrysostomos unterscheiden sich nicht in ihrer liturgischen Struktur, sondern nur in den priesterlichen Gebeten, vor allem den Darbringungsgebeten der Anaphora. Die Formulierungen dieser Gebete sind in der Ordnung des heiligen Basilius des Großen ausführlicher, so dass die Feier der Basiliusliturgie mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Feier der Chrysostomusliturgie. Zur Zeit des heiligen Johannes Chrysostomus dauerte die Feier der Jakobusliturgie etwa 5 Stunden. Einige kirchliche Autoren überliefern uns deshalb, dass die Liturgie des heiligen Basilius eine Verkürzung der Jakobusliturgie und die Liturgie des heiligen Johannes Chrysotomos wiederum eine Verkürzung der Basiliusliturgie darstellt, um dem schwindenden geistlichen Vermögen und der abnehmenden Frömmigkeit der Gläubigen nach dem Ende der Christenverfolgungen Rechnung zu tragen.

 

Die Liturgie des Heiligen Basilius des Großen wird zehn Mal im Jahr gefeiert, hauptsächlich zu den großen Festen oder am Vorabend dieser Feste. Die Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomos wird an allen übrigen Tagen des Jahres, mit Ausnahme der Wochentage der großen Fastenzeit gefeiert.

 

Priester Thomas Zmija

 

 

Betrachtungen über die Göttliche Liturgie

 

In der Liturgie wird das Opfer Christi am Kreuz dargebracht: „Tut dies zu Meinem Gedächtnis“Es handelt sich nicht nur um das menschliche Gedenken daran, sondern es setzt sich selbst geheimnisvoll bei der Darbringung durch die Hände des Priesters fort, der darin selbst „einen Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedek“ sieht, eben unseren Herrn Jesus Christus. Der Herr ist der „Darbringende und der Dargebrachte“ – wie es in einem stillen Gebet während des Cherubim-Gesangs heißt.

 

Die Liebe Gottes zur Welt und dem Menschen, die sich in der Inkarnation offenbart, zeigt sich der Welt auch jetzt noch in diesem universalen für alle Menschen und das ganze menschliche Sein dargebrachten Opfer. Es ist zugleich ein Opfer Seiner Liebe an den Vater im ewigen Leben der heiligen Dreieinheit, als auch ein Opfer des Menschensohnes im Angesicht der Menschheit und aller Kreatur. In diesem Sinne bringen wir es mit Christus in Seinem Gott-Mensch-Sein Gott dar. Wir haben die Fülle dieser Wahrheit in unser schwaches und begrenztes Bewußtsein zu fassen.

 

Können wir denn von der universalen Kraft dieses Opfers reden, wenn es, nach Zeit und Raum begrenzt, von den Gliedern der Kirche erlebt wird, die ja nur einen kleinen Teil der ganzen Menschheit darstellen? Gehört denn Christus dieser ganze andere Teil, oder bleibt Er ihm fremd, der nichts von Ihm weiß oder Ihn ablehnt? Rein äußerlich könnte es auch so scheinen, dass diese Menschheit nicht Christi eigen ist, sondern sich selbst ge- hören will und sich damit in die innerlich zwar ausgehöhlte, aber doch noch fortwirkende Macht des Fürsten dieser Welt begibt. Doch trotz diesem falschen Anschein bleibt sie in ihrem Wesen und Schicksal eins. Sie ist unauflöslich von Christus in Seinem Gott-Menschtum aufgenommen. Für uns ist es noch verborgen und bis ins Letzte hinein verhüllt, wie und wann diese Einheit des Menschengeschlechtes offenbart und sich realisieren wird, das Opfer wird jetzt nur von Christen innerhalb der Kirche dargebracht. Seine Kraft und Wirksamkeit erstreckt sich jedoch auf die ganze Menschheit, die in ihrer vielgestaltigen Einheit im Jüngsten Gericht auftreten wird. Und wie sie sich in der Erbschuld Adams ganz eint, so wird ihr in der Inkarnation die Erlösung zuteil, und zwar in ihrer ganzen Vielfalt. Das ist die frohe Zuversicht und Hoffnung unseres Glaubens.

 

Daneben gibt es noch eine andere lichte Seite. Gemeinsam mit Christus nehmen auch wir an diesem Opfer teil. Mit Ihm bringen wir es dar als einen „geistigen und unblutigen Dienst“. Zugleich drückt sich darin betend unsere Liebe zu Gott und zu dem Menschen aus. Es ist Lob und Dank an Gott, vereint mit dem Opfer für unser menschliches Leben. Gewiss übersteigt das Gebet für die Welt und die ganze Menschheit, wie es Christus in der Dunkelheit des Gartens von Gethsemane gesprochen hat, unsere Kräfte. Unser Herz ist begrenzt wie unser Bewusstsein. Es fasst kaum das fürbittende Gedenken für jene wenigen, die unserer fürbittenden Liebe und Fürsorge empfohlen sind. Für sie beten wir mit Gebet und Flehen und werden dabei nicht nur unserer Beschränktheit, sondern auch der ganzen Einmaligkeit in ihrer Bedeutung bewusst. Wir bringen es Christus selbst dar, Der es uns in Seinen heiligen Gaben reicht. Und dieses Gebet ist, wie wir es aus Erfahrung wissen, ein besonderes Feuer, das Christus auf die Erde gebracht und in unseren Herzen entzündet hat. 

 

Das Bedürfnis nach Versiegelung unserer Liebe im Gebet bekundet sich äußerlich in der namentlichen Nennung der Lebenden wie Toten, der ein besonderer Platz in der Proskomedie eingeräumt wird. Auf diese Weise verbindet sich in der bebenden Erinnerung des betenden Herzens unser ganzes Leben in aller Vielfalt seiner Bedürfnisse und Ereignisse zu einer gewissen Einheit. Natürlich müssen wir dabei unterscheiden, worum zu beten angebracht und würdig ist, um nicht den Heiden zu gleichen, die viele Worte machen (vgl. Matthäus 6: 7). Durch unser Gebet geben wir unserer Liebe Nahrung. Betet für die Nahen und die Fernen, für die Liebenden und Streitenden, denn also wird das geheimnisvolle Gewebe gegenseitiger Liebe vor dem Angesicht des Herrn gewirkt. Unsere Liebe mündet in die Liebe unseres Herrn zu uns, Der um unseretwillen, den Menschen zu gute, vom Himmel kam und Sich durch den Heiligen Geist inkarniert hat. 

 

Erzpriester Sergej Bulgakow

 

 

Hinführung zur Göttlichen Liturgie. Eine Handreichung für die Gäste in unserer Kirche in Balingen

 

Recht herzlich begrüßen wir Sie bei uns in der Pfarrkirche. Die Gemeinde freut sich sehr, dass Sie heute mit uns den Gottesdienst feiern werden. Die Orthodoxe Kirche repräsentiert den ältesten Zweig der Christenheit. Ihr Gottesdienst bewahrt bis heute den Geist und die Frömmigkeit der christlichen Antike. Ihnen beim Sehen und Hören mit einer kurzen Erklärung eine Hilfestellung zum Verstehen der orthodoxen Glaubenswelt zu geben, ist die Absicht dieses Textes.

 

Der Sinn und die wichtigste Tätigkeit der Kirche ist die Feier der Göttliche Liturgie (griechisch: Θεία Λειτουργία, kirchenslawisch: Божественная Литургия). Die Liturgie wird – von geringfügigen Details einmal abgesehen – seit gut 1000 Jahren unverändert in allen orthodoxen Landeskirchen – in die der jeweiligen Landesprache (griechisch, kirchenslawisch, rumänisch, georgisch usw., aber auch deutsch, französisch und englisch) gefeiert.

 

Im Mittelpunkt der orthodoxen Frömmigkeit steht die Teilnahme an der Göttlichen Liturgie, einem hauptsächlich gesungenen Gottesdienst, dessen heutige Form größtenteils auf das 4. Jahrhundert zurückgeht. Damals verfassten der heiligen Basilius der Große in Cäsarea in Kappadokien in der heutigen Türkei und der heilige Johannes Chrysostomus in Konstantinopel die vom Priester heute meist leise gesprochenen Gebete der Göttlichen Liturgie. Bis dahin hatten die Zelebranten diese Gebete meist frei formuliert. Seit dieser Zeit fanden die Gebete der Göttlichen Liturgie ihre bis heute verwendete Formulierung. Die Grundstruktur des orthodoxen Gottesdienstes ist jedoch weitaus älter und reicht bis in das 1. und 2. Jahrhundert zurück. Hier ist als unsere Informationsquelle vor allem die Lehre der zwölf Apostel (griechisch Didache ton dodeka apostolon) zu nennen. Das älteste Liturgieformular, nachdem der Gottesdienst in der orthodoxen Kirche gefeiert wird, ist die Jakobusliturgie, die uns Gebete, Frömmigkeit und Aufbau des Gottesdienstes in der Jerusalemer Urgemeinde überliefert. Als ältester, apostolischer Kern der Liturgiefeier kann die Anaphora gelten – das ist der Teil des Gottesdienstes, in dem das heilige Abendmahl gefeiert wird - dessen kurze Wechselgebete zwischen dem Zelebranten und dem Volk uns direkt von den heiligen Apostel überliefert worden sind.

 

Insofern ist nach orthodoxer Überzeugung unsere Art den Gottesdienst zu feiern ebenso geheiligtes Überlieferungsgut wie etwas die heilige Schrift und kann deshalb auch nicht willkürlich verändert oder reformiert werden.

 

Der erste Teil der Göttlichen Liturgie, die „Liturgie der Katechumenen (= die sich auf den Empfang der heiligen Taufe Vorbereitenden)“ mit Lesungen und Gebeten (Ektenien), geht auf den jüdischen Synagogengottesdienst zurück, wie er zur Zeit Jesu Christi gefeiert wurde, während der zweite Teil, die „Liturgie der Gläubigen“ ihren Ursprung in der Abendmahlsfeier der Jerusalemer Urgemeinde, im Griechischen Eucharistia (=Danksagung) genannt, hat.

 

Der orthodoxe Gottesdienst besteht aus drei Teilen, der Proskomidie  (Gabenbereitung), der Katechumenenliturgie oder dem Wortgottesdienst und der Liturgie der Gläubigen (mit Übertragung der Gaben vom Rüsttisch auf den Altar, dem Hochgebet oder auch Anaphora genannt, der Wandlung und der Kommunion), wobei an der Kommunion nur getaufte orthodoxe Christen teilnehmen dürfen.

 

Während der Proskomidie sind die Türen der Altarwand (Ikonostas) geschlossen und der Lektor trägt das Stundengebet vor. Währenddessen beginnt der Priester im Altarraum mit der Bereitung der eucharistischen Opfergaben. Dazu werden aus gesäuerten Weizenbroten kleine Stücke geschnitten zu Ehren Christi (das Heilige Lamm), zum Gedächtnis der Gottesmutter, der Engel und Propheten sowie der anderen Heiligen. Darauf folgt die Darbringung von Brotstücken für die Lebenden und Verstorbenen, derer bei dieser Liturgiefeier gedacht werden soll. Dafür bringen die Gläubigen kleine Opferbrote (Prosphoren) und Gedenklisten zum Altarraum. Denn zu den wichtigsten Aufgaben eine jeden Christen gehört die Fürbitte für seine Mitmenschen vor Gott.

 

All diese kleinen Brotstücke werden auf den Diskos (Patene) um das Heilige Lamm gelegt. Dies symbolisiert die gesamte, um Christus als ihr Haupt versammelte, Eine, Heilige, Katholische (das griechisch Wort bedeutet in etwa weltumspannend) und Apostolische Kirche, die aus den Engel und Heiligen, den bereits vollendeten Gläubigen und den Lebenden besteht.

 

In der Göttlichen Liturgie werden Brot und der Wein zusammen mit unseren Lob- und Bittgebeten Gott zum Opfer dargebracht. Diese Gaben werden dann während eines besonderen Gebetes an den Heiligen Geist (Epiklese) in der Abendmahlsfeier in den wahren Leib und das kostbare Blut Christi verwandelt. (vgl.: Lk 9,28–36; der griechische Originaltext des Evangeliums benutzt hier den Begriff Metamorphosis = Verwandlung, um die Selbstoffenbarung Christi als Sohn Gottes auf dem Berg Tabor zu beschreiben und nicht den bedeutungsschwächeren, deutschen Begriff der Verklärung (= "etwas erscheint so wie").

 

In der Feier des Sakramentes, das in der Orthodoxie stets als ein Geheimnis des Glaubens, das ich zwar anbetend betrachten, jedoch nie letztendlich begreifen kann, geht die um ihren HERRN vereinte Kirche im Erlösungswerk Christi auf. Im letzten Teil der Göttlichen Liturgie nehmen zuerst der Klerus und dann die Gläubigen am heiligen Leib und Blut Christi teil.

 

Zum besseren Verständnis wollen wir jetzt den Ablauf der Göttlichen Liturgie eingehender betrachten:

 

Die Feier der Göttlichen Liturgie beginnt mit Psalmengesängen und Fürbittgebeten. Während des Wortgottesdienst betritt der Diakon das Kirchenschiff durch die kleinen Türen des Ikonostas, die Mitteltür, Königliche Pforte genannt, wird vom Priester und Diakon dreimal während des Gottesdienstes durchschritten: Das erste Mal beim sogenannten „Kleinen Einzug“ mit dem heiligen Evangelienbuch, das zweite Mal beim „Großen Einzug“ mit Kelch und Diskos (Patene) und das dritte Mal zur Kommunion der Gläubigen. Das Evangeliar ist ein in Silber oder Gold gefasste Buch und enthält die vier Evangelien. Es wird als „Christusikone des Gotteswortes“ betrachtet. Mit dem Kleinen Einzug beginnt der Teil des Gottesdienstes, in dem der versammelten Gemeinde die Epistel aus einem der Briefe der heiligen Apostel und das heilige Evangelium vorgelesen wird. Meist folgt darauf eine kurze Predigt des Priesters.

 

Nach Beendigung des Wortgottesdienstes bleibt die Königliche Pforte während der nun folgenden Eucharistiefeier geöffnet und der Altar ist somit während der Darbringung der Gaben für die Gemeinde sichtbar. Nach den Vorbereitungsgebeten findet der Große Einzug mit dem Diskos (Patene) auf dem sich das Opferbrot befindet und dem Kelch mit dem Wein statt.

 

Im nächsten Teil der Liturgie, der Darbringung der Gaben, auch Anaphora (= Opfer) genannt, werden die Gaben vereint mit unserem Lob Gott zum Opfer dargebracht. In Rahmen des Darbringungsgebetes der Anaphora wird auch des letzten heiligen Abendmahles gedacht und der Einsetzungsbericht wird vom Priester laut gesprochen. Anschließend wird der Heilige Geist auf Brot und Wein herabgerufen mit der Bitte um ihre Verwandlung in den wahren Leib und das kostbares Blut Christi. Die Gläubigen werden in der Orthodoxie hier als das Opfer Mitdarbringende verstanden.

 

Deshalb gibt es in der orthodoxen Kirche auch keine Göttliche Liturgie, die der Priester ohne die Anwesenheit des Volkes vollziehen könnte. Als das heilige Opfer Mitdarbringende bekräftigt das gesamte Volk Gottes (dies bedeutet das griechische Wort Laos, von dem unser deutsches Wort Laie herkommt) das Gebetshandeln des Priesters, das er für, aber nicht anstelle, sondern in Gemeinschaft mit der versammelte Gemeinde vollzieht: Deshalb bekräftigt das Volk Gottes den liturgisch- sakramentalen Vollzug des Priesters mit dem dreifachen Ruf: „Amen! Amen! Amen!“ (So sei es!). Zur Wandlung während der Epiklese verneigen sich der Priester, der Diakon und die Gläubigen und knien danach in einem Augenblick schweigender Anbetung nieder, denn jetzt ist der HERR in den eucharistischen Gaben wahrhaft gegenwärtig, um sich uns zur Speise zu geben „zur Vergebung der Sünden“, wie der Priester später bei der Kommunion der Gläubigen jeder Kommunikanten zusagt.

 

Es folgt nun die hl. Kommunion, wo zuerst die Geistlichen und dann die Gemeindemitglieder die geheiligten Gaben empfangen. Durch sie erhält der Mensch Anteil an der Gnade Gottes. Er wird mit der heiligen Kirche, dem Leib Christi, vereinigt.

 

Die Gläubigen empfangen diese Gnade Gottes “zur Vergebung der Sünden“, „zur Freude, zur Gesundheit und zum Frohsinn”, “zum Wohl und Heilung unserer Seelen und Leiber“, „… zur Vertreibung alles Feindlichen, zur Erleuchtung der Augen unserer Herzen, zum Frieden unserer Seelenkräfte, zum untadeligen Glauben, zur ungeheuchelten Liebe, zum Wachstum in der Weisheit, …”, wie es in den Gebeten zur Vorbereitung auf den Empfang der heiligen Kommunion heißt.

 

Nach orthodoxem Kirchenverständnis ist die Eine, Heilige, katholische und Apostolische Kirche überall dort wahrhaft anwesend, wo die Göttliche Liturgie gefeiert, also die heilige Eucharistie in einer Feier des Lobpreis Gottes für das gesamte Heilswerk Christi dargebracht wird. Jede orthodoxe Ortsgemeinde, die sich um ihren Bischof oder den von ihm beauftragten Priester zur Feier der Göttlichen Liturgie versammelt, erfährt die lebendige Gegenwart Jesu Christi in seinem Wort und dem Sakrament Seines wahrhaft gegenwärtigen Leibes und Blutes. Durch den Empfang der Heiligen Gaben nimmt Christus Wohnung in uns. Wir werden zu Christusträgern, zu Ikonen Christi und haben durch Seine Gegenwart Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, mit der allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria, den heiligen Engeln und mit der großen Schar Seiner Heiligen. Durch den Empfang der heiligen Gaben wird die Gemeinde der Gläubigen in den Leib Christi (= die Kirche) verwandelt.

 

Über die Entwicklung der Göttlichen Liturgie haben wir bereits gesprochen. Die ursprüngliche Liturgie dauerte früher fünf Stunden, die Basiliusliturgie dauert etwa zweieinhalb, die Chrysostomosliturgie ab dem 11. Jahrhundert noch etwa eineinhalb Stunden. An den meisten Sonntagen wird die Chrysostomosliturgie gefeiert, an hohen Feiertagen und am Feiertag des heiligen Basilius die Basiliusliturgie. Daneben gibt es noch die Liturgie der vorgeweihten Gaben, eine Liturgieform die die Vesper mit einer kurzen Feier zum Empfang der Kommunion verbindet. Sie wird an den Werktagen der Fastenzeit gefeiert. Ihre Gebete wurden von heiligen Gregor dem Großen, (griechisch: Gregorios  ho Dialogos) genannt, verfasst. Die sehr alte, kurze und einfache Jakobusliturgie, wird bis heute am Gedenktag des heiligen Apostels Jakobus verwendet.

 

Einen besonderen Stellenwert im orthodoxen Gottesdienst haben die Gesänge. Sie werden als Gebete verstanden und sollen deshalb nur von menschlichen Stimmen vorgetragen werden. Der Gebrauch von Instrumenten ist demzufolge in orthodoxen Kirchen nicht üblich, weil Instrumente nicht beten können. Der Chor soll die Gemeinde beim Gebet leiten und unterstützen. Der Gesang im Gottesdienst ist jedoch nicht sein Privileg. Der Chor soll nur als der musikalisch gebildete Vorbeter der Gemeinde, nicht aber als deren einzige Stimme, auftreten.

 

Als orthodoxe Christen bekreuzigen wir uns in vielfältigen Situationen unseres Lebens, denn wir erfahren durch das Zeichen des Kreuzes Christi Beistand und Schutz. So bekreuzigen wir uns auch beim Betreten einer Kirche und während der Gottesdienste. Auch unsere katholischen und lutherischen Mitchristen kennen die Tradition des Kreuzzeichens. Wir Orthodoxen machen das Kreuzzeichen jedes Mal, wenn die heiligste Dreieinigkeit, beziehungsweise die drei Personen der Trinität erwähnt werden, wenn das heilige Kreuz, die heiligen Ikonen oder Reliquien verehrt werden und bei unzähligen weiteren Gelegenheiten, die aber nicht genau geregelt sind und von den Gläubigen nach eigenem Ermessen, in persönlicher Frömmigkeit und nach den landestypischen Bräuchen gehandhabt werden. Man bekreuzigt von der Stirn bis etwa zur Bauchmitte und anschließend von der rechten zur linken Schulter. Dies weißt uns darauf hin, dass wir orthodoxen Christen das Kreuzzeichen aus der Perspektive des eigentlich Segnenden - und das ist immer Christus Selbst - machen. Daher wird die Bewegung „spiegelverkehrt“ ausgeführt. Beim Bekreuzigen werden Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger zusammengehalten (die drei Finger zusammengelegten Finger bezeichnen unser Bekenntnis zur heiligsten Dreieinigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist), während Ringfinger und kleiner Finger an der Handfläche anliegen (als Bekenntnis zu den zwei Naturen in Jesus Christus, der Wahrhaft Gott und Wahrhaft Mensch ist).

 

An diesem Beispiel lässt sich erkennen, dass viele gottesdienstliche Vollzüge in der orthodoxen Kirche symbolgefüllten Charakter besitzen. Sie sind leibhaft vollzogene Bekenntnisse unseres Glaubens. Im Anschluss an das Kreuzzeichen verneigen sich die Gläubigen nach der russischen Tradition, während man in Griechenland und den Balkanländern, in Georgien und dem Nahen Osten die Handfläche auf das Herz gelegt. Denn dort nimmt die traditionelle orthodoxe Anthropologie, die in den Schriften der Philokalia formuliert wurde, den Sitz des Personenzentrums des Menschen, und damit den Sitz seiner Seele an. Manchmal erfolgt das Kreuzzeichen auch im Zusammenhang mit einer Verbeugung (Kleine Metanie) oder einer Niederwerfung bis zum Boden (Große Metanie).

 

Zum Abschluss der Göttlichen Liturgie erteilt der Priester den Segen, indem er mit einem Handkreuz das Kreuzzeichen über die Gemeinde zeichnet und sie damit segnet. Die Gläubigen begeben sich daraufhin zum Priester, um das Segenskreuz durch einen Kuss zu verehren. Zu diesem Zeitpunkt wird auch das gesegnete (aber nicht konsekrierte) Brot (Antidoron) ausgeteilt. Es erinnert uns an die urchristliche Praxis der, in urchristlicher Zeit mit der Liturgie verbundenen, Agapefeier. Alle Getauften, also auch alle katholischen und evangelischen Mitchristen, sind recht herzlich zum Empfang des Antidorons eingeladen.

 

Wir Orthodoxen beten in der Regel im Stehen. Deshalb stehen die Gläubigen auch während der Gottesdienste. Die Möglichkeit in der Kirche zu sitzen kam in den westlichen Kirchen in Verbindung mit der Einführung einer längeren Predigt in den Gottesdienst auf. In der orthodoxen Kirche ist die Predigt meist kürzer, als es heutzutage im evangelischen und katholischen Gottesdienst üblich ist. Einige orthodoxe Kirchen besitzen eine Bestuhlung entlang der Wände für Alte und Schwache. Unsere Gäste sind herzlich eingeladen, sich während der lang dauernden Gottesdienste hinzusetzen. Zur Lesung des heiligen Evangeliums, zum Glaubensbekenntnis, während der Feier des Abendmahls und bei der Austeilung der Kommunion bitten wir, dass Sie sich mit uns zusammen erheben.

 

Priester Thomas Zmija

 

 

Die Göttliche Liturgie  als Vergegenwärtigung von Opfer, Kreuz und Heil

 

Ich möchte heute mit uns über die Göttliche Liturgie nachdenken, darüber, was sie darstellt, wie wir an ihr teilhaben können, und dies nicht nur während des Gottesdienstes. Da sind wir mit Herz und Seele dabei. Aber auch sonst gilt es an ihr teilzuhaben, woran die Menschen durchaus nicht immer denken und was doch aus einer grundsätzlichen inneren Beteiligung hervorgeht. Zunächst will ich mit euch darüber nachdenken, was Liturgie ist.

 

Im Mittelpunkt der Göttlichen Liturgie steht das Opfer Christi am Kreuz; zum Verständnis dieses Opfers befähigt uns das ganze Alte Testament, zumal jener Teil, den wir nicht immer so bewußt annehmen, nämlich die gesetzliche Regelung des Opferwesens. Häufig stellt sich die Frage, weshalb denn diese Opfer festgesetzt wurden, welchen Sinn die Darbringung eines Lämmchens zur Besänftigung Gottes haben könnte? Vermag denn das Blut wortloser Tiere eine Rechtfertigung und Reinigung für den Menschen zu sein? Hier gilt es zu begreifen, worum es bei diesen Geboten geht und wie das Alte Testament die Akzente setzt. Dabei wollen wir uns mit Herz und Seele in Zeiten versetzen, die der unseren nicht gleichen, die aber leicht verstanden werden können, wenn man sich etwa folgendes klarmacht: Da wird ein Auto von einem betrunkenen Fahrer gesteuert. Er überfährt einen Passanten und verletzt ihn tödlich. Was geschah? Wie kommt es, dass einer einen Fehler macht, und ein anderer dafür mit seinem Leben bezahlen muß? Genau darin besteht das Herzstück der Opferung in Bezug auf die menschliche Sünde.

 

Man stelle sich die Situation im Alten Testament vor: Jüdische Nomaden ziehen mit ihren Herden von Schafen und anderen Tieren umher. Da wird also bei einem Armen - Reiche gab es nicht - ein Lämmlein geboren. Wir sehen am Beispiel der alttestamentlichen Erzählung, die von einem Ereignis aus dem Leben des Königs David berichtet (2 Samuel), wie eng der Hirte mit dem Lämmchen verbunden war, das in seiner Herde geboren wurde. Es war nicht nur ein Zeichen für potentiellen Wohlstand, es wurde vielmehr gleichsam in seine Familie hineingeboren, man liebte es in seiner Gebrechlichkeit, es war klein und bedurfte des Schutzes, und es war auf Zuwendung und Wärme angewiesen.

 

In dieser Erzählung vom König David heißt es, er habe in seiner Verblendung einem anderen Manne die Frau weggenommen, obwohl dieser im Krieg für ihn focht. Der Prophet Nathan will ihn ermahnen und kommt zu ihm. Er tut das nicht auf direktem Wege, sondern erzählt ihm ein Gleichnis: Es war ein armer Mann, und er hatte nur ein Schäfchen. Das lebte in seinem Hause, er fütterte es, beschützte es, ihm galt all seine Liebe und Fürsorge. Er hatte niemanden sonst auf der Welt, und so hielt er es wie ein Töchterchen. Und da war ein wohlhabender Nachbar, der einen Gast hatte. Er besaß viel Vieh, aber er schonte seine Herde und nahm das Lämmchen des Armen, ließ es schlachten und seinem Gast als Speise vorsetzen ... Wie reagierte David darauf? Er rief empört: Dieser Mann ist des Todes. Er nahm das Kostbarste, was der Arme besaß, so dass ihm nichts blieb ... Da sagte Nathan zu ihm: Du bist der Mann; Uria hatte nur einen Schatz, das war seine Frau, die er liebte, die ihm alles bedeutete, du aber bist König, du hast alles, und doch hast du sie ihm weggenommen ... Aus dieser Erzählung spüren wir die Wärme und Zuneigung, die zwischen dem Hirten und dem Schäfchen bestand, zwischen dem Menschen und seiner Herde.

 

Auch in Christi Erzählung vom verirrten Schaf wird dies deutlich. Rein "wirtschaftlich" betrachtet, hat ein in den Bergen verirrtes Schaf kaum eine Bedeutung. Sollte man denn 99 Schafe allein lassen, sie der Gefahr aussetzen, dass sie auseinander laufen und dem Wolf zum Opfer fallen oder von Räubern weggetrieben werden? Natürlich nicht! Schließlich werden neue Schafe geboren, die den Verlust ersetzen. Aber hier wird nicht wirtschaftlich gedacht, hier begegnet uns ein völlig anderes Verhalten. Das entlaufene Schaf ist Glied seiner Herde, hier wurde es geboren. Er wird es, solange es klein war, auf seinen Schultern getragen haben oder auf seinem Arm, wenn die Herde einer neuen Weide zugetrieben wurde. Er achtete darauf, er schützte es vor Krankheit und Kälte, vor Hunger und wilden Tieren und wohl auch vor der Grobheit anderer Schafe. So war es nicht nur ein Schaf für ihn, das tausend andere ersetzen konnten, es war ein ihm vertrautes Tier, und deswegen kann er gar nicht anders, als es zu suchen.

 

Wenn wir uns nun den Opfern im Alten Testament zuwenden, wollen wir dessen eingedenk bleiben, was wir über die Empfindungen des Menschen zu einem verloren gegangenen Schäfchen erfahren haben, drohte ihm doch der Tod!

 

Da spricht der Herr zu ihm: Du bist ein sündiger Mensch. Du lebst unrein vor mir, und du tust Unrecht; und weil du Unrecht tust, musst du mit eigener Hand eines deiner Schafe schlachten, und du sollst dafür ein makelloses Tier auswählen, das schönste, an dem dein Herz hängt, das deine Freude ist wie das Kind in deinem Hause... - Warum dies? Warum soll ich das tun? Weil das Unrecht des Schuldigen leidvoll dem Unschuldigen auferlegt wird. Wenn du es tötest, wirst du dir die Frage stellen, ob du abermals treulos, unehrlich, ungerecht handeln kannst? Du wirst inne, wer für deine Sünde bezahlt hat, und dir wird bewusst, wen der Fluch deiner Sünde trifft.

 

So wurden jahrhundertelang die Menschen im Alten Testament erzogen, dass die eigene Sünde unbedingt Leiden, Qual und Tod dem Unschuldigen bringen muss, und der Schuldige dadurch verschont wird. Ein Ungerechter weiß sich aus der Klemme zu ziehen, aber der geliebte Reine, Zarte, Schutzlose bezahlt mit seinem Leiden als Konsequenz aus meiner Sünde. Darum war das Alte Testament gegenüber dem Menschen so streng: Du musst das schönste Schäfchen aussondern und für den Tod bestimmen, musst es zum Opfer bringen und augenscheinlich fast körperlich spüren, was Sünde bedeutet ... Sünde bedeutet Tod, Leiden, Schrecken, je Todesangst für ein unschuldiges Wesen, obwohl es deine Sünde ist, bringt sie ihm oder ihr Leid.

 

Nunmehr wird klar, wie tödlich die Sünde wirkt. Damals hat eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war, das schrecklich an sich erfahren. Wahrscheinlich denken sie jetzt an das 8. Kapitel des Johannesevangeliums (Johannes 8,3 ff.). Man hatte eine junge Frau beim Ehebruch ertappt und dem Gericht Christi überstellt: "Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?" ... Ich will jetzt nicht darauf eingehen, was Christus gesagt hat; ich möchte vielmehr das Augenmerk auf die junge Frau richten. Sie hatte aus Leichtsinn, vielleicht auch verlockt und verführt, gesündigt. Wahrscheinlich hat sie wie wir alle gedacht: Ich werde es später durch Buße in Ordnung bringen, aber es wird immer wieder vorkommen, dass es kein anderes Mal gibt ... Hier war es so. Man ergriff sie. Sie sah sich vor Christus geführt und kannte das Gesetz. Nun begreift sie körperlich, seelisch, mit ihrem ganzen Wesen, wie Sünde und Tod das Gleiche sind. Weil sie gesündigt hatte, wird sie nun sterben. Sie begreift, dass vor Gottes Gericht immer die Sünde den Tod nach sich zieht ... Es bewirkt die gleiche Erfahrung wie im Falle des Hirten und seines Lämmchens. Tod und Sünde scheinen für uns so weit auseinander zu liegen, dass sie nichts miteinander zu tun haben; sündigen tue ich jeden Tag; sterben werde ich irgendwann einmal später. Doch plötzlich wird unübersehbar, wie recht der Apostel Paulus hatte, wenn er den Tod der Sünde Lohn nennt (Römer 6,23). Wie recht hat das Buch Genesis, in dem eingangs berichtet wird, dass der Mensch sündigte und der Tod in die Welt kam. Uns deucht das so weit weg und unrealistisch, aber wie real wurde es für diese junge Frau, die für einen Augenblick der Sünde plötzlich vor dem Tod stand, dem endgültigen, dem plötzlichen. Und dieser Tod war grausam; von Steinen erschlagen zu werden, einsam zu sterben, von allen verworfen ... Eben das Gleiche durchlitt der Hirte, der seine Sünde auf ein geliebtes Tier legen musste und damit seinen Tod bewirkte.

 

Darin bestand der Sinn alttestamentlicher Opferung, und deshalb sprechen Altes und Neues Testament (das Alte Testament prophetisch, das Neue faktisch) von Christus als dem Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich nimmt (Johannes 1,29).

 

Er nimmt die ganze Sünde der Welt auf sich. Er, der Makellose, Reine, Sündlose muss sterben, weil Er aus freiem Willen einer von uns werden wollte. Er ist nicht nur Gott im Himmel, Er ist Mensch auf der Erde. Ein sündloser, ein reiner Mensch, wie das Opferlamm rein und makellos sein muß. Und weil sich um Ihn die Sünde häuft, bringt sie über Ihn Fluch und Tod. Christus wird für den Tod geboren. Bereits als Kind von Bethlehem ist Ihm wie einem neugeborenen Lamm das Los eines blutigen Opfers bestimmt. Wenn wir am Heiligen Abend vor der Krippe Christi stehen, sollten wir daran denken, was das bedeutet. Gewöhnlich zeigt uns die Weihnachtsikone eine Krippe. Ich denke an eine alte griechische Ikone, wo alles dargestellt wird, wie wir es gewohnt sind: die Grotte, die Jungfrau und Gottesmutter, Josef, die Hirten, die Engel, Tiere und die Weisen, aber etwas ist ganz anders als bei den sonstigen Ikonen. Statt der Krippe liegt Christus auf dem Opferaltar, ein hoher von Steinen errichteter Opferaltar, und Er liegt dort wie ein Lamm. Er liegt dort, weil Er dazu in die Welt kam, um für die Sünden der Menschen geschlachtet zu werden. Bereits im ersten Augenblick Seiner menschlichen Existenz war Er das Opfer.

 

Auch in der Taufe des Herrn wird dieses Bild lebendig. In der Weihnachtsnacht wurde der Retter nach dem Willen des Vaters und dem gehorsamen Liebeswillen des Sohnes geboren. Jetzt aber ist Er kein Säugling mehr, jetzt steht Er als ausgewachsener Mann, als der Christus Jesus im Wasser. Vormals bestimmte der göttliche Rat, der göttliche Entschluss unser Heil als durch den Kreuzestod des Gottmenschen vollzogen; jetzt aber beschließt nicht allein Gott, jetzt muss der Mensch Jesus Christus verwirklichen, was der ins Fleisch gekommene Gott durch Seine Inkarnation auf Sich nahm. Wieviele Menschen mögen vor Ihm zum Jordan gekommen sein, um von ihren Sünden symbolisch, bildhaft gewaschen zu werden. Sie tauchten unter in den Wassern des Stroms, und diese wurden gleichsam belastet mit der menschlichen Sünde, sie wuschen sie ab, und die Sünde blieb gleichsam in den Wassern als schwere Last mit tödlichem Ausgang zurück. In diese Wasser taucht der sündlose unschuldige Christus ein. Bei Ihm braucht nichts abgewaschen zu werden, Er ist rein, aber Er taucht unter in diese tödlichen und todbringenden Fluten, in die menschliche Sünde und steigt aus den Wassern, als habe Er diese Sünden auf Sich genommen und sie durch Sein Untertauchen wieder gereinigt. Die Fluten des Jordans bergen in sich Reinheit, die sie dadurch erwarben, dass Christus die Sünden aus ihnen auf Sich nahm, der Gottmensch heiligte sie durch Seine Berührung. Wir sind Christus gegenüber in der gleichen Lage wie der Hirte, wie der alttestamentliche Herr der Schafherde zu seinem Lämmlein, das er schlachten muss und dem Tode anheim geben, weil er selbst sündig ist.

 

Wir vermögen das nicht nachzuempfinden. Christus lebte vor 2000 Jahren. Die Ikonen haben diese schrecklichen Bilder veredelt, und der Gottesdienst hat all dieses Geschehen wohlanständig gemacht. Wir betrachten die Ikonen der Kreuzigung, ohne den sterbenden Menschen, Jesus Christus, am Kreuz wahrzunehmen, die Ruhe des Friedens hat sich auf diese argen Bilder gelegt. Aber wir dürfen das nicht vergessen! Wie können wir das vergessen und in der Liturgie nur einen schönen Gottesdienst sehen, der uns so viel gibt und uns so viel sagt?! Vermögen wir denn nicht durch diese Schönheit die tragische Realität dessen zu sehen, was sie darstellt? Der Tod ist nicht schön. Er kann erhaben sein, aber nicht schön sein. Wir müssen uns von den vertrauten Bildern, die uns im kirchlichen Gottesdienst begegnen, losreißen und hineinbegeben in die Realität der Ereignisse selbst.

 

Überall, während des ganzen Gottesdienstes, können wir das erleben. Kreuz und Kreuzigung, worauf wir schauen, stellen für uns Opfer und Sieg Christi dar, aber wir dürfen nicht nur den Sieg sehen. Die Priesterkleidung weist uns auf die königliche Würde des Siegers Christus hin, wir aber sollten nicht vergessen, für welchen Preis der Menschensohn diese Würde erwarb. Häufig sagt man, der bischöfliche Gottesdienst konzentriere sich auf den Bischof. Dass wir doch verstehen könnten, was er an sich darstellt in den verschiedenen Handlungen, die ihn umgeben. Es sind schreckliche und durchaus nicht strahlende Bilder des Neuen und Alten Testaments.

 

Der Bischof betritt die Kirche, er steht in ihrer Mitte, für alle sichtbar, und man nimmt ihm die Oberbekleidung ab. Ist das nicht ein Gleichnis dafür, was in der Passionsnacht mit Christus geschah, als Er entkleidet wurde und allein blieb, vor aller Augen die Geißelung, die Schande und den Spott erwartete? Christus hat zu Petrus gesagt: "Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst" (Johannes 21,18). Auch der Bischof hebt die Arme, und man legt ihm den Gürtel an, der die Bereitschaft zur Tat symbolisiert. Wir können darin nur die Zurüstung zum Dienst des Bischofs sehen, wir können auch dieses schreckliche Bild sehen, das sich vor Petrus auftat, als Christus ihm jenen Tod ankündigte, den er sterben würde. Die Mitra symbolisiert die Dornenkrone, sind wir willig, das so zu sehen oder sind wir blind dafür? ... Und vor allen Dingen der Priester bekleidet sich vor dem Dienst mit einem weißen Hemd, das Makellosigkeit und Reinheit darstellt, eben jene Reinheit des Lammes, das zur Schlachtung geführt wird. Gewiss, das sind Bilder, wir können sie wahrnehmen oder blind ihnen gegenüber sein, und das lässt sich über alles sagen, was in der Kirche geschieht.

 

Schrecklich ist es nur, wenn wir uns von der Schönheit blenden lassen und von der Harmonie all dessen verzaubert werden, was vor unseren Augen abläuft und dabei vergessen, was es an sich bedeutet. Christus ist das Lamm, geboren zum Tod, gelegt in eine Krippe, die den Opferaltar darstellt, Er ist das Lamm geboren in einer Grotte, die die Grabkammer in jenem Garten ankündigt, wo Sein atemloser Körper - oder sagen wir’s einfacher: Sein Leichnam - nach einem schrecklichen Tod am Kreuz hingelegt wird. Und Sein ganzer Lebensweg führt Ihn zum Abendmahl.

 

Im Bericht über das Abendmahl wird bei den verschiedenen Evangelisten ziemlich vollständig das jüdische Passahmahl am Abend dargestellt. Aber das allein genügt nicht. Im Mittelpunkt der jüdischen Passahnacht stand das geschlachtete Lamm, das zerteilt wird. Und keiner der Evangelisten erwähnt das Lamm, weil der Mittelpunkt des Abendmahles Der ist, Der Gottes Lamm ist. Das Lamm des Alten Testaments, das Lamm der Opferung war nur ein Bild, eine Vorbereitung darauf, daß wir verstehen und sehen sollten. Jetzt ist es nicht mehr nötig: Inmitten der Jünger sitzt das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt auf sich nimmt, dem Tod und der Kreuzigung entgegengeht.

 

Erinnern wir uns an den Propheten Jesaja, der von Christus sagt: "Seht, mein Knecht ... Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn was man ihnen noch nie erzählt hat, das sehen sie nun; was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt. Wer hat unserer Kunde geglaubt? Der Arm des Herrn - wem wurde er offenbar? Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Sproß, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden. Er hatte keine schöne und edle Gestalt, so daß wir ihn anschauen mochten. Er sah nicht so aus, daß wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; wir schätzten ihn nicht. Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg. Doch der Herr lud auf ihn die Schuld von uns allen. Er wurde mißhandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht auf. Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tat auch er seinen Mund nicht auf. Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick? Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes zu Tode getroffen. Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte, obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war. Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben als Sühnopfer hingab. Er wird Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn wird durch ihn gelingen. Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis. Mein Knecht, der gerechte, macht die vielen gerecht; er lädt ihre Schuld auf sich. Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, und mit den Mächtigen teilt er die Beute, weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter die Verbrecher rechnen ließ. Denn er trug die Sünden von vielen und trat für die Schuldigen ein" (Jesaja 52,13-53,12).

 

Und von der Gottesmutter heißt es: "Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr" (Jesaja 54,1).

 

Wir haben hier Bilder der Opferung, prophetische Worte. Das ganze Alte Testament ist darauf ausgerichtet, daß das Lamm Gottes kommt, zum Sterben geboren wird, die Sünde auf sich nimmt, die Wahrheit verkündigt, Heiligkeit offenbar macht, Sich freiwillig Folter und Qual aussetzt, am Kreuz stirbt und durch den Tod den Tod besiegt.

 

In dieser Nacht freilich geschah etwas Besonderes. Christus nämlich, der große Hirte, der Hohepriester der Kirche hat diesen göttlichen Dienst Selbst vollzogen. Er brach das Brot, Er verteilte den Kelch und dennoch bleiben die Jünger, die an diesem Brot und Kelch teilhatten, diejenigen, die sie früher gewesen waren. Denn dieses Abendmahl, das von Christus noch auf der Erde gefeiert wurde, war Prototyp dessen, was kommen sollte im Laufe der nächsten Tage, die wir die Leidenswoche nennen. Es war gewissermaßen eine Schau jener Liturgie, die wir nach Kreuz und Auferstehung, nach Himmelfahrt und Pfingsten hier vollziehen. Sie war ein Vorbild auch deswegen, weil das Wesen des Geheimnisses noch nicht vollendet war. Die Nacht von Gethsemane, der Verrat, die Leidenstage, Kreuz, Auferstehung und Verherrlichung des Erlösern waren noch nicht geschehen, und die Gabe des Heiligen Geistes, Der auf die Jünger fallen sollte, um sie fähig zu machen, Frucht zu tragen, war noch nicht ihnen gegeben. In diesem Sinne war auf unbegreifliche, schreckliche Weise, dieses Abendmahl, von Christus Selbst vollzogen, noch Erwartung des künftigen, größeren, realen.

 

Allerdings hat Christus das ganze Werk der Rettung vollbracht, alles ist getan, nichts mehr hinzuzufügen in der Ordnung des göttlichen Heilsplans, und wir feiern die Liturgie. Aber auch sie ist nur ein Abbild dessen, was wir erwarten, trotz ihrer unbegreiflichen Größe, ungeachtet dessen, daß in ihr uns real, gegenständlich, geistlich das ewige Leben vermittelt wird, erwarten wir dennoch das größere. Nach der Kommunion sagt der Priester in einem kurzen Gebet: "Gewähre uns, Wahrhaftiger, mit Dir zu kommunizieren am abendlosen Tag Deines Reiches." Denn diese Göttliche Liturgie stellt gleichzeitig sowohl das Geheimnis der rettenden Tat Christi als auch das des künftigen Zeitalters dar, der in seiner Fülle in all seiner Macht und Herrlichkeit erst nach der zweiten Wiederkunft Christi offenbar wird. Dennoch ist dies nicht nur Erwartung, nicht nur ein Bild; die Göttliche Liturgie ist nicht ein Gleichnis, sie ist Realität, aber eine Realität, die wir jetzt noch nicht in ihrer Fülle begreifen können und die uns noch nicht in ihrer ganzen Macht und Herrlichkeit zuteil werden kann. In der Göttlichen Liturgie geschieht ein Wunder, nämlich das, dass alles, was wir in Zukunft noch erwarten, in einem uns zugänglichen Maße bereits jetzt geschenkt wird. In einem der stillen Gebete des Priesters heißt es: "Laß uns heute Anteil haben an Deinem Reich, welches noch kommen wird: Lass uns heute teilhaben an dem, was noch bevorsteht." Denn die Liturgie ist nicht Bild noch Gleichnis, sondern eine Vorwegnahme, ein Vorgeschmack, weil in der Göttlichen Liturgie schon jetzt (für einen Augenblick und in jenem Maße, in dem es uns zugänglich wird nach unserem Verhaftetsein im Fleisch, nach unserer Sündhaftigkeit und nach der Sündhaftigkeit der ganzen Welt) wir die Ewigkeit vorweg kosten, an ihr teilhaben, mit ihr kommunizieren. Und darin besteht bei der Spendung der Sakramente der eigentliche Sinn der Anrufung des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist gibt Zeugnis, dass das künftige Zeitalter schon angebrochen ist. Das künftige Zeitalter (wir wissen es selbst) ist für uns erst partiell heraufgekommen; obwohl erkauft, sind wir dennoch sündhaft; obwohl in der Vereinigung mit Christus, sind wir nicht wie Er makellose Lämmer; obwohl wir die Gabe des Heiligen Geistes empfangen haben, brennen wir nicht in einer hellen Flamme, sondern trübe und von Zeit zu Zeit.

 

In diesem Sinne ist das künftige Zeitalter, die Teilhabe sowohl an der Fülle dessen, was der Mensch in Christus darstellt, als auch am Leben des Geistes in uns nur partiell ausgeprägt. Und deswegen bleibt das Festmahl der Ewigkeit, an dem wir teilhaben, Erwartung und Vorgeschmack, Sehnsucht nach ihm, aber nicht Realität in ihrer Fülle. Wir rufen den Heiligen Geist, Er kommt herab, Er erfüllt alle mit Sich: Brot und Wein werden tatsächlich zum Leib und Blut Christi; aber wir sehen sie nicht brennend und leuchtend in der göttlichen Teilhabe. Zwar empfangen wir die Geheimnisse, und in uns wird für einen Augenblick das Licht göttlicher Gegenwart entfacht, aber trübe, sacht, nicht für lange. Wir leben einerseits von jener Fülle, die uns gegeben wird - und nicht nach Maß (Johannes 3,34) - , sondern die wir empfangen nach dem Maße unserer Kräfte; und andererseits leben wir in der Erwartung dessen, dass diese Göttliche Liturgie einst kein Gottesdienst, sondern Realität des ganzen Lebens sein wird, wenn dann, wie das Buch der Offenbarung sagt (Offenbarung 21,22), im neuen Jerusalem es keinen Tempel mehr geben wird, weil Gott der Tempel ist, und es wird keinen Gottesdienst mehr geben wird, keine Opfer, sondern nur noch eins: das Leben Gottes, das wie ein Strom, wie eine Quelle in uns fließt und sprudelt.

 

Das ist es, was wir erwarten; dennoch ist die Göttliche Liturgie, wie wir sie jetzt kennen und wie wir sie feiern, bereits heute siegreiche Wirklichkeit, weil sie die Sünde, den Tod, den Hades besiegt. Es ist Vorgeschmack der letzten Herrlichkeit und des großen Triumphes, aber es ist schon der Sieg Gottes auf der Erde und unsere Teilhabe an diesem Sieg.

 

Eine Predigt von Metropolit Anthony von Surosh; aus Stimme der Orthodoxie 1/^1999, Seite 25 ff.