Liturgie der Katechumenen

 

Die Feier der Göttlichen Liturgie ist in zwei große Abschnitte gegliedert. 

 

Diese Zweiteilung geht auf die Unterscheidung zwischen den Katechumenen, den Taufbewerbern, die sich auf den Empfang des Mysteriums  der Erleuchtung und der heiligen Myronsalbung vorbereiten und den Gläubigen, die bereits getauft sind und sich auf dem Weg der immer innigeren Vereinigung mit dem HERRN Jesus Christus Selbst (Theosis) befinden. 

 

Während an diesem ersten Abschnitt der Liturgiefeier alle Menschen teilnehmen können, ist der zweite Teil der Göttlichen Liturgie, die wir deshalb „Liturgie der Gläubigen“ nennen, den Mitgliedern der Kirche, also den getauften Christen, vorbehalten. 

 

So erklärt Vater Alexander Schmemann, dass in den ersten Tagen der Kirche, als die Gläubigen „sich geschaffen haben und nicht geboren wurden“ (Tertullian), die Katechumenen vor ihrem Eintritt in die Kirche durch eine ziemlich lange Periode der Unterweisung und Belehrung  hindurch zu gehen hatten, bevor er zu den Heiligen Sakramenten (Taufe, Myronsalbung und Kommunion) zugelassen wurden.

 

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass das erste Drittel der Heiligen Liturgie auf dieBedürfnisse der Katechumenen zugeschnitten ist.

 

Die Liturgie der Katechumenen wird auch auch als „Liturgie des heiligen Evangeliums“ oder „Liturgie des Hörens auf das Wort Gottes“ genannt. Dies begründet sich damit, dass sich diese Teil der Heiligen Liturgie im Wesentlichen aus Lesungen aus der Heiligen Schrift (=Apostel und Evangelium), und deren Erläuterung (= Predigt) zusammensetzt. Nach den Schriften der Heiligen Väter geht die Kommunion am Wort Gottes, also das gläubige Hören des offenbarten Gotteswortes und das Bewahren des Gehörten im Herzen des einzelnen Gläubigen notwendig der Kommunion als der Teilnahme am kostbaren Leib und allheiligen Blut des Herrn voraus.

 

Beide Formen der Kommunion sind gleich wichtig und bedingen einander. Sie stellen die beiden Arten unserer Teilnahme an Christi Heilwirken dar.

 

Die Liturgie der Katechumenen beginnt, wie jeder orthodoxe Gottesdienst, mit demEingangssegen, der den üblichen Lobpreis der Allheiligen Dreieinheit enthält. Diesem ist das Gebet des „Himmlischer König“ vorangestellt, weil es nach dem Zeugnis des heiligen Apostels und Evangelisten Johannes heißt: „Gott ist Geist, und die IHN anbeten, müssen in Geist und Wahrheit anbeten" (Johannes 4:24) und weil der heilige Apostel Paulus uns sagt: „Weil ihr aber Söhne seid, sandte Gott den Geist Seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater.“ Alles christliche Gebet entspringt dem Wirken des Heiligen Geistes. Deshalb beginnen wir die Feier der Göttlichen Liturgie mit der Anrufung des heiligen Geistes und dem Lobpreis des dreieinigen Gottes.

 

Hierauf folgt das große Fürbittengebet. Nun beten wir für die Anliegen der Kirche und halten Fürbitte für die wichtigen Anliegen der Welt und ihrer ganzen Gemeinschaft. Danach werden drei Antiphonen (ἀντίφωνος = entgegentönend, antwortend) gesungen. Die Antiphon ist ein Psalm oder aber ein Psalmvers, der im Wechsel mit einem Zwischenruf, der eigentlichen Antiphon, gesungen wird. Ob der ganze Psalm zu singen ist (Typika) oder bestimmte ausgewählte Psalmverse mit einem Zwischenruf, ist abhängig davon, ob es sich um einen Sonntag oder um einen besonderen Feiertag handelt. Dabei unterscheiden sich die slawische und die griechische Ordnung etwas voneinander. In vielen Gemeinden singt der Chor heute den gesamten Psalm der Typika oder die entsprechende Antiphon. Ursprünglich wurde jedoch der Psalm versweise abwechselnd von zwei Chören und von zwei Sängerpulten aus gesungen. Waren Antiphonen für diesen Tag vom Typikon angezeigt, so sang der rechte Chor die Verse, während der linke Chor den Kehrvers, die eigentliche Antiphon, vortrug. Nach dieser Ordnung wird heute noch in vielen orthodoxen Klöstern gesungen.

 

Während dieses Gesangs liest der Priester drei besondere Gebete, die eigentlich zu den drei Ektenien (Fürbitt-Gebeten) gehören, die wiederum den Vortrag der Antiphonen gliedern.

 

 Die erste Antiphon ist der Psalm 102. Er preist das Heilshandeln Gottes. Auch die zweite Antiphon (Psalm 145)  ist ein Lobpreis auf Gotttes Errettungstat. Nach der zweiten Antiphon wird der Hymnus „O eingeborner Sohn“ der einst vom Kaisers Justinian geschrieben wurde, vorgetragen. Er fasst das orthodoxe christologische Glaubensbekenntnis in einem kurzen Hymnus in prägnante Worte:

 

O eingeborener Sohn und Wort Gottes,  der Du unsterblich bist und der Du es auf Dich genommen hast, wegen unseres Heiles  Fleisch zu werden aus der heiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria.  Ohne Veränderung Mensch geworden;  Gekreuzigter, Christus Gott, der Du durch den Tod den Tod vernichtet hast. Du  Einer aus der allheiligen Dreieinheit, gleich verherrlicht mit dem Vater und dem Heiligen Geiste. Retter, rette uns.

 

Als dritte Antiphon werden die Seligpreisungen (Matthäus 5:1-10) gesungen. Ab dem 12. Vers an Hochfesten, beziehungsweise ab dem 8. Vers an den Sonntagen werden zwischen die einzelnen Makarismen (Makarismus = Heilszusage) Stichiren eingefügt. Sie sind der 3. und  der 6. Ode im Kanon aus dem Morgengottesdienst entnommen. Diese Zwischenverse entfallen in den meisten Gemeindekirchen und werden nur im klösterlichen Gottesdienst vorgetragen.

 

Mit dem „Kleinen Einzug“ wird der Höhepunkt der „Liturgie der Katechumenen“ eingeleitet. Unser HERR Jesus Christus tritt in der Ikone Seines Wortes, den heiligen Evangelium, in die Mitte der versammelten Gemeinde. Bei diesem Einzug trägt der Diakon vom Priester begleitet das Evangelienbuch (Evangeliar). Das Evangelienbuch symbolisiert Christus Selbst, der durch Sein lebendigmachendes Wort uns den Weg zum Heil und zur Errettung weist. Deshalb ist das Evanglienbuch in einen kostbaren Einband eingeschlagen.

 

Beim Kleinen Einzug singen wir den Gesang: Kommt uns lasset uns anbeten und niederfallen…

 

Zur Zeit des hl. Johannes Chrysostomus und des hl. Basilius des Großen begann damit die Liturgiefeier. Das Volk hatte sich schon früh am Morgen in der Hagia Sophia, der Bischofskirche von Konstantinopel, versammelt. Während es auf die Prozession der Kleriker, die den Patriarchen auf den Weg zum Gottesdienst begleitete, warten, sang das Volk im Wechsel mit dem Sängerchor Psalmen, die von den Antiphonen gegliedert wurden. Bei Eintreffen des Patriarchen wurde ihm das hl. Evangelienbuch entgegen getragen. Dabei sangen die Sänger das „Kommt uns lasset uns anbeten und niederfallen…“. Nachdem der Patriarch das hl. Evangelium bei seinem Eintritt in die Kirche verehrt hat, zog er unter Begleitung des Klerus feierlich in die Kirche zu seinem Platz auf der Bema. Dann begann mit dem Gesang des „Heiliger Gott, Heiliger Starker…“ die Feier der Göttlichen Liturgie.

 

Die Liturgie der Katechumenen wird auch Liturgie des Wortes genannt, weil in diesem Teil der Liturgie die Lesungen aus dem Apostelbuch und dem heiligen Evangelium im Mittelpunkt stehen.  Die Heiligen Schriften bilden nach orthodoxen Verständnis, Christus das inkarnierte, das heißt wahrhaft Mensch gewordene Wort Gottes ab ( = Der altgriechische Ausdruck logos λόγος, lateinisch verbum, hebräisch דבר davar) verfügt über einen außerordentlich breiten Bedeutungsraum. Im Neuen Testament bezeichnet er Christus den Sohn und das Wort Gottes (vgl.:„...Und das Wort ist Fleisch geworden…“ (Johannes 1:14). Die Heiligen Schriften wurden von heiligen Aposteln unter dem Beistand des heiligen Geistes verfasst. Deshalb bilden sie auch den Kern dessen, was wir durch unseren HERRN Jesus Christus Selbst verkündet, durch die heiligen Apostel überliefert, gepredigt und ausgelegt und von der Heiligen Orthodoxen Kirche durch alle Zeiten treu bewahrt  und weitergereicht wurde. Durch die heiligen Schriften und durch die Heilige Apostolische Tradition  wissen wir um den wahren unverfälschten christlichen Glauben und können diesen von den im Laufe der Kirchengeschichte aufgetretenen Sondermeinungen (Häresien von griechisch αἵρεσις = willkürliche Auswahl, Anschauung, Schulmeinung) unterscheiden. Neben der Heiligen Schrift ist die Heilige Apostolische Tradition Quelle des rechten Glaubens. Denn alles, was uns durch die mündliche Lehre der Apostel von den weiteren Anordnungen unseres HERRN Jesus Christus und von den Handlungsweisen der Urkirche überliefert wurde, jedoch nicht in den Heiligen Schriften aufgezeichnet wurde, nennen wir die Heilige Apostolische Tradition

 

Die heiligen Schriften und die Heilige Tradition zusammen bilden das Glaubensgut, das einen Christen, wenn er in Glauben und Liebe daran festhält, zu ein Rechtgläubigen, zu einem Orthodoxen macht. Von der Heiligen Apostolischen Tradition sind aber deren Interpretationen, also die verschiedenen orthodoxen Lokaltraditionen, zu unterscheiden. Sie verändern sich im Laufe der Jahrhunderte und sind auch von Ort zu Ort verschieden. Sie sind der legitime Ausdruck der katholischen und apostolischen Fülle, den ein im Orthodoxen Glauben lebendes, christusliebendes Volk den Lehren des Heiligen Evangeliums, der Heiligen Apostolischen Tradition und dem gottesdienstlichen Leben der Kirche im Laufe der Zeiten zu geben vermag. Sie sind Schmuck und Ausdrucksform, nicht jedoch Inhalt der Orthodoxie; sie sind ihr orts- und zeitgebundenes Kleid, ihr lokales Spiegelbild und für den einzelnen orthodoxen Gläubigen die persönliche Heimat, die er von Kindesbeinen an kennt und lieb gewonnen hat. Jedoch hat jede Lokaltradition für die örtlichen Gläubigen diesen Wert. Russische Traditionen sind deshalb nicht besser oder schlechter als griechische, serbische oder rumänische etc. Gemeinsam und zusammen sind sie Ausdruck der orthodoxen Fülle der kirchlichen Katholizität.

 

Die Heilige Schrift wiederum ist das Wort Gottes im Munde des Apostels oder Evangelisten. Gott bedient sich dabei der Auffassungsgabe, dem Denkhorizont und Erinnerungsvermögen des heiligen Schreibers. Deshalb ist der Heilige auch nicht das menschliche Diktiergerät, sondern der Mitarbeiter Gottes bei der Überlieferung der Heilbotschaft. Darum bleibt die Heilige Schrift die „heilige Ikone des Logos“, der Christus Selbst ist. Sie zeigt uns Christus, so wie der heilige Schreiber IHN als Person und Sein Wirken erlebt und erfahren hat. Deshalb gibt es auch vier heilige Evangelien und neunzehn  Apostelbriefe. Die Apostelbriefe sind Lehr- und Ermahnungsschreiben, die zur frühchristlichen Briefliteratur gehören und sich an die frühen Ortskirchen der Christenheit wenden. Die vier Evangelien wiederum „malen“ uns immer wieder eine weitere Facette der Person und des Wirkens Christi vor Augen. Als Orthodoxe hören wir die Heiligen Schriften mit den Ohren des Glaubens und betrachten sie mit den Augen unserer Heiligen Orthodoxen Kirche, nicht jedoch mit der Kritiksucht eines wechselhaften Zeitgeistes. Denn wir wissen durch unsere Heiligen Väter, dass der Sündenfall einst auch den menschlichen Verstand zu Fall gebracht hat. „Ein Stückwerk ist unser Erkennen“ (1. Kor 13:9), so sagt uns der heilige Apostel Paulus.

 

Auf den „Kleinen Einzug“ folgen die Troparien das Dreimalheilig (Trisagion = griechisch τρίς „dreimal“ und ἅγιον „heilig“), welchen die heiligen Engel ewig vor dem Thron Gottes in den Himmeln singen: Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.

 

Dann folgen die Lesungen aus der Heiligen Schrift, die jeweils mit Psalmversen eingeleitet werden. Der Lektor liest zunächst im Wechsel mit dem Sängerchor den Prokimen und dann trägt der die Apostellesung vor. Danach singt er wiederum im Wechsel mit dem Chor die Verse des Alleluija. Nun trägt der Diakon oder der Priester die Lesung aus dem heiligen Evangelium des Tages vor.

 

Danach deutet der Priester das verlesene Kapitel aus dem Evangelium und stellt uns seine wichtigsten Aussagen vor Augen. In der russischen, serbischen und rumänischen orthodoxen Kirche hat sich zunehmend die Praxis durchgesetzt, dass die Predigt vor der Kommunion oder im Anschluss an die Heilige Liturgie stattfindet. Nachdem wir alle die Lesungen und die Predigt aufmerksam gehört haben, das heißt, sie als das Wort Gottes und seine Weisung für unser persönliches Leben wahrgenommen haben, folgt jetzt der Teil der Göttlichen Liturgie, der in besonderer Weise der Fürbitten gewidmet ist. Jede orthodoxe Landeskirche gestaltet diesen Teil der Liturgiefeier nach ihren besonderen Bedürfnissen. Zunächst folgt die "inständie Ektenija", in vielen Kirchen wird daran die Ektenija für die Entschlafenen angefügt, obwohl das Totengedenken nach der kirchlichen Ordnung am Samstag und nicht am Sonntag (Gedächtnis der Auferstehung Christi) gehalten werden soll. In unserer Gemeinde schließen sich Gebete für die Christen und alle leidenden Menschen in Syrien und im Irak an und wir beten für die unter dem Bürgerkrieg im Osten der Ukraine Leidenden. Die Fürbitten schließen mit der Ektenie für die KatechumenenIn ihnen betet die versammelte Gemeinde einerseits für die anwesenden Katechumenen der Gemeinde, anderseits in übertragener Weise auch dafür, dass das Wort Gottes die Herzen aller Menschen in Nah und Fern erreichen möge. Gerade in unseren westlichen Gesellschaften, die so stark vom Agnostizismus, also einer Lebensweise, als ob es Gott nicht gäbe oder zumindest für das Leben der Menschen keine praktische Bedeutung habe geprägt sind, ist unser aller Gebet um die Ausbreitung des Gotteswortes in den Herzen der Menschen besonders wichtig und sollte nicht weggelassen werden, nur weil es in der konkreten Einzelgemeinde gerade keine Katechumenen gibt. An die Fürbitten für die Katechumenen schließt sich ein Gebet an, bei dem die Katechumenen aufgefordert sind, das Haupt vor dem Herrn zu neigen. Da auch wir Getauften, die wir immer wieder von neuem die Einwurzelung des heiligen Evangeliums in unseren Herzen brauchen, neigen mit den Katechumenen zusammen das Haupt vor dem Herrn. Nun folgt die Entlassung der Katechumenen. Nun geht die Feier der Göttlichen Liturgie vom „Gottesdienst des Gotteswortes“ zur „Feier der heiligen Eucharistie“, von der Liturgie der Katechumenen zur Liturgie der Gläubigen über.

 

Priester Thomas Zmija